Menschen mit Behinderung haben unterschiedliche Leistungsbedarfe und brauchen eine individuelle Unterstützung, um ihren Alltag zu meistern. Dafür machen sich unsere Mitglieder stark.

Unsere Petition im Wortlaut:

Sehr geehrte Mitglieder des Petitionsausschusses,

wir begrüßen, dass sich die aktuelle Landesregierung das Ziel gesetzt hat, die Wohnraumentwicklung in Baden-Württemberg deutlich zu verbessern. Aufgrund des immensen Nachfragedrucks ist es wichtig, dass die Landesregierung nachhaltige und schnelle Weichen dafür setzt, dass bezahlbarer und klimaverträglicher Wohnraum geschaffen wird.

Als Initiative e.V. setzen wir uns in der vorliegenden Petition dafür ein, dass im Hinblick auf die Wohnraumfrage insbesondere der Personenkreis von Menschen mit Behinderung in den Blick genommen wird, der vielfach bei der Wohnraumsuche benachteiligt und diskriminiert wird. 

Im Hinblick auf die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG), die in Baden-Württemberg über den am 30. Dezember 2020 beschlossenen Landesrahmenvertrag erfolgt, gilt es bei der Wohnraumthematik vor allem Menschen mit Behinderung in den Blick zu nehmen, die derzeit noch in sogenannten „besonderen Wohnformen“ (ehemals „stationäres Wohnen“) leben. Schließlich ordnet das BTHG an, dass bei allen Menschen mit Behinderung Wohnangeboten außerhalb der besonderen Wohnformen der Vorzug gegeben werden muss. Insofern hat der Bundesgesetzgeber einen besonderen Auftrag erteilt, künftig verstärkt Wohnraumangebote am allgemeinen Markt zu schaffen. Dabei müssen die Wohn- und Lebenszielsetzungen dieses vielschichtigen Personenkreises zwingend aufgegriffen werden. Das verlangt auch die UN-Behindertenrechtskonvention, die in Deutschland am 26. März 2009 geltendes Recht worden ist. Als Verband vertreten wir mehr als 90% der Angebote von besonderen Wohnformen für Menschen mit Behinderung in Baden-Württemberg. Gemäß des Kennzahlenvergleichs der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Sozialhilfeträger (BAGüS) leben in Baden-Württemberg derzeit rund 22.000 Personen in „besonderen Wohnformen“. 1

In unserer Petition fordern wir, dass durch geeignete Maßnahmen der Stadt- und Landkreise und der Landesregierung bis zum Jahr 2025 für Menschen mit Behinderungen 5.000 bezahlbare und geeignete Wohnungen bereitgestelltwerden, davon mind. 1.000 nach DIN-Norm 18040 (barrierefrei). Diese 5.000 Wohnungen braucht es zusätzlich zu bestehenden oder aktuell geplanten Maßnahmen.

Die Notwendigkeit für diese Maßnahmen ergibt sich sowohl durch die von der Caritas beauftragte Studie des Pestel Instituts von Dezember 2020 „Wohnsituation von Menschen mit Behinderung in Baden-Württemberg“ 2 als auch aufgrund der Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention und des 2016 in Kraft getretenen Bundesteilhabegesetzes (BTHG).

Um das von uns genannte Ziel von 5.000 Wohnungen zu erreichen, braucht es ein Bündel von Maßnahmen, von denen wir nachstehend einige benennen:

  • Es braucht gesetzliche und ordnungsrechtliche Anpassungen, z.B. beim Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetz (WTPG), der Landesheimbau-Verordnung und dem Landesrahmenvertrag SGB IX.
  • Auch das Landeswohnraumfördergesetz muss angepasst und WTPG-konform ausgestaltet werden, indem Integrations- und Inklusionsbemühungen, sowie eine Quotenregelung integriert (z.B. §2 Nr. 6 LWoFG), wie auch ein Ausschluss der Menschen mit Behinderungen vermieden werden (z.B. §4 Abs. 2a LWoFG). Menschen mit Behinderung sind Bürger dieses Landes wie jede andere Personengruppe, die vom LWoFG erfasst sind.
  • Die von der UN-BRK geforderte diskriminierungsfreie Förderpolitik verlangt zwingend die Abschaffung der bisherigen Ausgrenzung der Wohnangebote für Menschen mit Behinderung aus der allgemeinen Wohnraumförderung und die Integration der bisher nur beim Sozialministerium angesiedelten Sonderförderprogramme in das LWoFG. Die bisherige Sonderwohnraumförderung des Sozialministeriums ist darüber hinaus und in Anbetracht der Bedarfslagen finanziell unterdimensioniert und weitgehend wirkungslos.
  • Programme zur „Selbstnutzung von Wohnraum für Menschen mit Behinderung“(siehe Beispiele hierfür in Nordrhein-Westfallen) müssen aufgesetzt, als auch die soziale Mietwohnraumförderung in Baden-Württemberg explizit um die Zielgruppe der Menschen mit Behinderung erweitert werden.
  • Weiterhin muss die spezielle und fachlich notwendige Infrastruktur zur Erbringung von Assistenzleistungen für Menschen mit Behinderung in eigens gewählter Häuslichkeit nachhaltig gefördert werden, um die mitunter komplexen Bedarfe abdecken zu können.
  • Auf kommunaler Ebene braucht es geeignete und transparente Verfahren, um selbständige Wohnraumentscheidungen von Menschen mit Behinderung zu ermöglichen und zu unterstützen. Notwendig wäre hierzu eine Verordnung von der Landesregierung um gleiche Verfahren in allen Stadt- und Landkreise zu etablieren.
  • Es braucht geeignete und neue Förderprogramme, die explizit Menschen mit Behinderung und Einrichtungen der Eingliederungshilfe offenstehen.
  • Für private und öffentliche Investoren müssen nachhaltige Anreize geschaffen werden, um Wohnraum insbesondere für Menschen mit kognitiver und psychischer Behinderung zu schaffen, die ansonsten auf dem Wohnungsmarkt weitgehend chancenlos sind.
  • Mietverträge von Menschen mit Behinderung, die unter rechtlicher Betreuung stehen, dürfen nicht länger schlechter gestellt sein, als Mietverträge von Menschen ohne Behinderung. Hierfür muss sich die Landesregierung auf Bundesebene im Rahmen einer rechtlichen Absicherung einsetzen.
  • Beteiligungen an Mietverträgen oder Unterstützungen seitens der Leistungserbringer oder rechtlichen Betreuer im Interesse deren Klienten dürfen nicht länger zum Nachteil von Menschen mit Behinderung führen.
  • Die Wohnraumbeschaffung und -suche muss als bezahlte Assistenzleistung anerkannt werden.
  • Insgesamt muss die Lobby von Menschen mit Behinderung beim Thema „Wohnraum“ durch geeignete Beteiligungsverfahren (insbesondere auf kommunaler Ebene) gestärkt werden. Auch hierzu braucht es rechtliche Absicherungen, ggf. durch eine Verordnung.

Wir bitten den Petitionsausschuss mitzuhelfen, dass unser Anliegen zur Schaffung von 5.000 bezahlbaren und barrierefreien Wohnungen für Menschen mit Behinderungen bis 2025 umgesetzt wird und die dafür notwendigen Weichen gestellt werden. Wir bitten um Nachricht, welche konkreten Schritte die dafür zuständigen Ministerien, Landes- und Kommunalbehörden ergreifen werden.

Mit freundlichen Grüßen

Rainer Hinzen
(Diakonie Stetten), geschäftsführender Vorstandssprecher

Martin Adel
(Johannes-Diakonie Mosbach), Vorstandssprecher

Jörg Munk
(Stiftung Liebenau), Vorstandssprecher

Prof. Dr. Wolfgang Wasel
(Stiftung Haus Lindenhof), Mitglied des Vorstands

Dr. Thorsten Hinz
Mitglied des Vorstands der INITIATIVE bis 30.11.2022

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  1. BAGüS Kennzahlenvergleich Eingliederungshilfe 2021 (letzter Zugriff 26.06.2022):
    #21_0201_Datenhandling_Titelbild_BAGüS_Benchmarking-Bericht_2019-A4.pdf (kennzahlenvergleich-eingliederungshilfe.de)
  2. Caritas Wohnraumstudie gemeinsam mit dem Pestel-Institut von 2022 (letzter Zugriff 26.06.2022):
    pm-2021-01_bericht_caritas_final.pdf (stiftung-st-franziskus.de)